Wie entsteht eine Lawine?
Fragen an das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos
Cornelia Accola -Kommunikation SLF
Jeden Winter gehen im Alpenraum zahlreiche Lawinen ab. Viele davon bleiben unbemerkt und nur die wenigsten richten Schäden an. Aber für Skitourengeher, Freerider und Schneeschuhwanderer stehen sie immer ein Risiko dar. Eine kritische Beurteilung der Lawinengefahr erfordert ein komplexes Wissen, jahrelange Erfahrung und genaue Beobachtung. Ein wichtiger Aspekt ist die Entstehung von Lawinen. Wir haben die Experten vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos gefragt.
Welche Arten von Lawinen gibt es?
Die Schneebrettlawine ist die typische Schneesportlerlawine. Sie wird oft von Skifahrerinnen oder Snowboardern ausgelöst. Schneebrettlawinen gehen im Bruchteil von Sekunden los. An einer Kante im gut verfestigten Schnee löst sich das Schneebrett und gleitet meist auf einer darunter liegenden Schneeschicht hangabwärts. Typisch für Schneebretter ist die scharfe Anrisskante.
Eine Staublawine wird bis zu 300 km/h schnell. Sie kann sich aus einer Schneebrettlawine entwickeln. Wenn diese einen langen Weg den Abhang hinab hat und dieser sehr steil ist, vermischt sich der aufgewirbelte Schnee mit Luft. Diese riesige Schneewolke fließt zu Tal und die Druckwelle, die sie vor sich herschiebt, hat eine enorme Zerstörungskraft. Staublawinen sind relativ selten und haben somit für Schneesportler eine eher geringe Bedeutung.
Die Lockerschneelawine beginnt an einem Punkt und breitet sich von dort aus birnenförmig aus, indem der abrutschende Schnee immer mehr Schnee mitreißt. Lockerschneelawinen gehen oft während oder kurz nach einem Schneefall oder bei starker Erwärmung ab. Sie können sowohl in nassem als auch in trockenem Schnee entstehen.
Die Gleitschneelawine hat wie Schneebrettlawinen einen breiten, linienförmigen Anriss, doch rutscht hier die gesamte Schneedecke ab. Das ist nur auf glattem Untergrund wie abgelegtem Gras oder Felsplatten möglich. Je steiler der Hang, desto eher gleitet der Schnee ab.
Als Schneebrett oder als Lockerschneelawine kann eine Nassschneelawine anbrechen. Sie reißt häufig spontan los und löst sich vor allem bei Regen oder nach einer tageszeitlichen Erwärmung, das passiert vor allem im Frühling. Der Hauptauslöser von Nassschneelawinen ist flüssiges Wasser in der Schneedecke, welches Bindungen an Schichtgrenzen markant schwächt. Vor allem an Schichtgrenzen mit großen Korngrößenunterschieden sammelt sich Wasser an und führt dort zu Instabilität.
Wie entstehen Lawinen oder Schneebretter?
Damit eine Lawine abgehen kann, braucht es verschiedene Bedingungen. Es braucht eine instabile Schicht (Schwachschicht), die von einer brettartigen Schicht überlagert wird. Das Gelände muss steil (mind. 30 Grad) sein und eine Kraft muss die Lawine auslösen. Die folgenden Faktoren sind entscheidend für die Lawinenbildung: Niederschlag, Wind, Temperatur, Schneedecke, Gelände und Mensch. Die Kombination dieser Faktoren wirkt sich in verschiedener Art und Weise auf die Lawinengefahr aus.
Die wichtigsten Regeln lauten:
- Neuschnee + Wind = Lawinengefahr
- Schnelle und markante Erwärmung = kurzfristiger Anstieg der Lawinengefahr
- Damit Schneebrettlawinen entstehen können, braucht es schwache Schichten in der Schneedecke.
- Je steiler und schattiger, desto gefährlicher.
- Wichtiger als die Lawine ist, sich selber im Griff zu haben, denn rund 90% aller Lawinen auf Touren und Varianten werden vom Mensch ausgelöst.
Wie erforscht das SLF die Entstehung von Lawinen?
Das SLF untersucht die Schneeeigenschaften und die Prozesse beim Entstehen einer Lawine. Das Verstehen dieser Prozesse soll helfen, die Vorhersagbarkeit von Lawinen zu verbessern. Die SLF-Forschung zielt darauf, die Vorgänge vor, während und nach der Lawinenauslösung besser zu verstehen. Dazu führen SLF-Forschende Feldmessungen und Laborexperimente durch und setzen Computermodelle ein. In Feldexperimenten werden die Eigenschaften der natürlichen Schneedecke gemessen, z.B.:
- Forschende filmen den sich ausbreitenden Bruch in einer Schwachschicht mit Hochgeschwindigkeitskameras.
- Sie bestimmen den Wassergehalt der Schneedecke vom Boden aus mit aufwärtsschauenden Radarsystemen
- Sie messen die Schichtung und die Variabilität der einzelnen Schichten der Schneedecke.
Im Kältelabor arbeiten die Forschenden unter kontrollierten Bedingungen, sie führen z.B. Belastungsversuche an selbst gezüchteten Schwachschichten durch. Die Ergebnisse von Messungen und Experimenten dienen unter anderem als Input für numerische Simulationen, die wiederum helfen, physikalische Prozesse besser nachzuvollziehen. Oder zur Optimierung des Schneedeckenmodels SNOWPACK, das in mehreren Ländern die Warndienste in der Einschätzung der Lawinengefahr unterstützt.
Welche Rolle spielen Skitourengeher und Freerider bei der Entstehung von Lawinen?
Der Mensch ist oft das auslösende Element für eine Schneebrettlawine. 90% aller durch Lawinen verschütteten Personen haben "ihre" Lawine selbst ausgelöst. Durch defensives Verhalten kann die Zusatzlast auf die Schneedecke reduziert werden.
Das SLF ist ein interdisziplinäres Forschungs- und Dienstleistungszentrum in Davos. Rund 140 Personen forschen zu den Themen Schnee, Atmosphäre, Naturgefahren, Permafrost und Gebirgsökosysteme. Im Mittelpunkt der Forschung stehen die verschiedenen Aspekte rund um den Schnee, z. B. wie er aufgebaut ist und wie er sich unter verschiedenen Bedingungen verändert. Als eine seiner weiteren Kernkompetenzen untersucht das SLF, wie Lawinen entstehen und sich im Gelände bewegen.
Sicher im Schnee: Lawinen Trainings mit der Bergschule
Der Umgang mit LVS-Gerät, Schaufel und Sonde will gelernt und vor allem geübt sein. Wir legen Dir sehr ans Herz, vor dem Start in die Skitourensaison Deine Kenntnisse jedes Jahr aufzufrischen. Sei es in einem Tageskurs oder in unseren mehrtägigen Kursen mit unterschiedlichen Anforderungen. Es geht um Deine Sicherheit!